Jessen – Kirche St. Nikolai
Die Kirche St. Nikolai in Jessen ist ein Bauwerk aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Ihr Vorgängerbau wurde beim so genannten Schwedenbrand im Dreißigjährigen Krieg zerstört. Im Februar 1522 führte Pfarrer Urban Specher, ein Sohn der Stadt, hier die Reformation ein. Luther predigte nachweislich im Juli 1533 in Jessen. Wie wir aus einer seiner Tischrede erfahren, muss sich der Reformator aber öfter in Jessen aufgehalten haben.
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Das an der Schwarzen Elter gelegene Jessen wurde 1216 das erste Mal urkundlich erwähnt. Im Jahre 1283 spricht eine Quelle von einem „plebanus“, was Priester bedeutet und auf das Vorhandensein einer Kirche hinweist. Sie war dem Heiligen Nikolaus geweiht, dem Schutzpatron der Kaufleute, Händler und Handwerker. Die Kirche fiel 1646 im Dreißigjährigen Krieg beim so genannten Schwedenbrand den Flammen zum. Der Krieg hatte fatale Folgen für die Stadt, die zwischen 1631 und 1640 fast drei Viertel ihrer Einwohner verlor und fast vollständig zerstört wurde. 1648 begann der Wiederaufbau des Kirchengebäudes im Stil des Barock; 1662 war sie fertig gestellt.
Wie die Kirche im 16. Jahrhundert aussah ist nicht überliefert, doch wissen wir einiges über die Einführung der Reformation in Jessen im Jahr 1522. Verbunden ist sie mit dem Namen Urban Specher, der um 1480 in Jessen geboren wurde. Er studierte ab 1500 in Leipzig und wechselte zum Wintersemester 1502/03 an die gerade erst durch Kurfürst Friedrich den Weisen neu gegründete Wittenberger Universität. Hier erwarb Specher 1503 den akademischen Grad eines Baccalaureus, 1507 wurde er Magister der freien Künste. Im Wintersemester 1515/16 wirkte er als Dekan der Artistenfakultät. Die Jessener Kirche war der Wittenberger Schlosskirche inkorporiert und da die Schlosskirche zugleich auch Universitätskirche war, stand dem Universitätssenat das Recht zu, die Pfarrstelle in Jessen zu besetzen. Vor diesem Hintergrund war es nicht überraschend, dass Specher als Sohn der Stadt ab dem Winter 1521/22 das Jessener Pfarramt verwaltete und hier die von Wittenberg ausgehende Reformation unterstützte. Am 16. Februar 1522 reichte er der Gemeinde beim Abendmahl erstmals Kelch und Brot und legte damit ein offenes Bekenntnis zur neuen Lehre ab. Wie viele seiner Amtskollegen verheiratete sich Specher, doch wurde er nach seiner Eheschließung 1523 dazu gedrängt, seine Frau zu verlassen. Luther setzte sich daraufhin persönlich beim kurfürstlichen Geheimsekretär Georg Spalatin für Specher ein.
Der Reformator hat sich auch selbst mehrfach in Jessen aufgehalten. Belegt ist eine Predigt am 12. Juli 1533 in der hiesigen Kirche. Offenbar war Jessen aber auch ein beliebtes Ausflugsziel für Luther und seine Freunde. In einer Tischrede Luthers hat sich die Anekdote eines gemeinsamen Spaziergangs mit Justus Jonas und anderen überliefert. Bei dieser Gelegenheit gab Luther den Armen der Stadt Almosen. Jonas tat es ihm nach und bemerkte „Wer weiß, wo mirs Gott wieder bescheret.“ Darauf soll Luther lachend erwidert haben: „Gleich als hätte es Euch Gott nicht zuvor gegeben; frei einfältig soll man geben, aus lauter Liebe, willig!“ Die Unterstützung Bedürftiger sollte in Luthers Verständnis nicht mehr im Hinblick auf das eigene Seelenheil erfolgen, sondern aus freien Stücken, als Dank für die erwiesene Gnade Gottes und Christus zu liebe. Deshalb scheute sich der Reformator auch nicht davor, Kurfürst Johann 1526 darum zu bitten, sich „eynes armen menschen“ in Jessen anzunehmen. Er bat den Kurfürsten darum, den Bürgern der Stadt aufzutragen, sich um den Notleidenden zu kümmern.
Auch die 1528 in Jessen unter Beteiligung Luthers im Zuge der Kirchenvisitation vorgenommene Einrichtung des „Gemeinen Kastens“ diente der Unterstützung von Bedürftigen. In dem Kasten wurden Spenden, aber auch Einnahmen aus Stiftungen und Pfründen gesammelt, um damit die kirchlichen Gebäude zu erhalten und das Kirchenpersonals zu versorgen, das damals aus dem Pfarrer, einem Prediger sowie einem Schulmeister und einem Kirchendiener bestand.
Im Innenraum der Jessener Kirche befindet sich ein beindruckender barocker Altar. Er wurde um 1700 ursprünglich für die Petrikirche in dem nördlich von Hettstedt gelegenen Ort Quenstedt geschaffen. Der Altar kam im Zuge der 1979 begonnenen Neugestaltung der Kirche 1986 nach Jessen. Es handelt sich dabei um einen typischen evangelischen Kanzelaltar, bei dem die Predigtkanzel über dem eigentlichen Altattisch angeordnet ist. Auf diese Weise wird die Bedeutung des Wortes im evangelischen Gottesdienst betont, bei dem die Predigt gleichberechtigt neben dem Sakrament des Abendmahls steht. Bekrönt mit dem auferstanden Christus, findet sich auf dem Altar auch eine Standfigur Martin Luthers.
Quellentexte
Aus einer Tischrede Martin Luthers
„Doctor Martinus Luther ist ein Mal mit D. Jonas, M. Veit Dietrich und anderen seinen Tischgesellen spazieren zum Jessen ins Städtlin gefahren. Daselbst gab D. M. Luther Almosen den Armen. Da gab D. Jonas ihnen auch und sprach: ‚Wer weiß, wo mirs Gott wieder bescheret.‘ Darauf sagte D. M. Luther lachend: ‚Gleich als hätte es Euch Gott nicht zuvor gegeben; frei einfältig soll man geben, aus lauter Liebe, willig!‘“
Quelle: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Tischreden, 4. Band. Weimar 1916, S. 140.
Literatur
Nikolaus Müller: Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Leipzig 1911.
Dennis Weiner / Ulf Lehmann: Geschichte der Stadt Jessen (Elster) in Bildern. Festschrift zur 800-Jahrfeier 2016. Herzberg 2016.
Karl Pallas: Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals sächsischen Kurkreise. Zweite Abteilung, Dritter Teil: Die Ephorien Prettin und Herzberg [Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, Bd. 41]. Halle (Saale) 1908, S. 208–212.
Öffnungszeiten
Öffnungszeiten:
Die Kirche kann nach Voranmeldung beim Pfarramt besichtig werden.
Kontakt:
Evangelisches Kirchspiel Jessen
Kirchplatz 7
06917 Jessen/Elster
Tel: 03537 / 21 23 48
E-Mail: kirchejessen@t-online.de
Internet: www.kirche-jessen.de