Luther war hier
Von Annaburg bis Zerbst
Eisleben, Mansfeld und Wittenberg sind unzertrennlich mit dem Leben und Wirken Martin Luthers verbunden. In Eisleben ist Luther geboren und gestorben. In Mansfeld verbrachte er seine Kindheit. In Wittenberg wirkte er fast 38 Jahre als Bibelprofessor, Prediger und Reformator. Was aber haben Naumburg, Merseburg und Zeitz; Dessau, Zerbst und Wörlitz; Stolberg/Harz, Annaburg und Prettin mit Luther zu tun? „Luther war hier“ nimmt das 500. Reformationsjubiläum 2017 zum Anlass, um auf all diejenigen Orte in Sachsen-Anhalt aufmerksam zu machen, an denen sich Martin Luther tatsächlich aufgehalten hat, aufgehalten haben soll und mit denen sich Luther-Legenden verbinden.
Diese Internetseite bietet Ihnen Kurzinformationen, Bilder und Quellenzitate zu allen Luther-Orten in Sachsen-Anhalt. Die Kartenfunktion erleichtert die Orientierung. Über die Chronologie lassen sich die Orte von der Geburt bis zum Tode Luthers nachverfolgen und zu einander in Beziehung setzen. Auf diese Weise entsteht ein verfolgbares Band von Orten und Geschichten, das dazu einlädt, Sachsen-Anhalt als „Ursprungsland der Reformation“ zu entdecken.
„Luther war hier“ ist ein Kooperationsprojekt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt.
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In dem kleinen Ort Muldenstein, etwa 10 Kilometer nördlich von Bitterfeld gelegen, steht eine Kirche, die ihren Ursprung im 12. Jahrhundert hat. Am Beginn des 15. Jahrhunderts war Stein-Laussigk, wie Muldenstein damals hieß, eine Wüstung. 1455 gelangten der Ort und die dazugehörige Kirche in den Besitz der Adelsfamilie von Ammendorf. Kurt von Ammendorf erbat bei Papst Sixtus IV. die Genehmigung zur Gründung einer Niederlassung des Franziskanerordens, die er im November 1476 erhielt. Am Beginn des 16. Jahrhunderts war Johannes Fleck Guardian des Franziskanerklosters. Auch wenn fast nichts über Fleck bekannt ist, so gilt er doch als früher ‚Anhänger‘ der von Wittenberg ausgehenden Kritik am kirchlichen Ablasshandel – und mit seinem Namen verbindet sich auch die Muldensteiner Luther-Legende.
Unter den Mönchen des Franziskanerordens hatte es viele gegeben, die die Ablasspraxis der Kirche ablehnten und bei denen es eine große Sehnsucht nach Reformen gab. Dennoch standen die Franziskaner der reformatorischen Theologie Martin Luthers oft äußerst kritisch gegenüber. So wandten sich beispielsweise 1519 Franziskaner aus Jüterbog offen gegen die dort gehaltenen evangelischen Predigten des Luther-Schülers Franz Günther. Johannes Fleck, der Vorsteher des Franziskanerklosters in Stein-Lausigk, scheint jedoch tatsächlich auf der Seite Martin Luthers gestanden zu haben. In einer Tischrede Luthers von 1532 wurde Fleck zwar als „papistischer Prediger“ bezeichnet, zehn Jahre später lobte der Reformator Fleck jedoch als „Mann voll von Tröstung“; Fleck habe ihn, so Luther in einer Tischrede von 1542, nach Erscheinen der 95 Thesen dazu ermuntert, unbeirrt und zügig auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Flecks reformatorische Gesinnung ließ vermutlich auch die nicht beweisbare Geschichte entstehen, er habe 1502 die Predigt zur Eröffnungsfeier der Wittenberger Universität gehalten und dort die Prophezeiung ausgesprochen: „Von diesem weißen Berge werden Flüsse und Ströme der Weisheit und des Lebens in die ganze Welt sich ergießen.“ In Kontrast dazu steht das Verhalten der einfachen Mönche in Stein-Laussigk. Sie weigerten sich im Zuge der vom Kurfürsten angeordneten Visitation, sich der Reformation anzuschließen, woraufhin das Kloster 1531 kurzerhand aufgelöst wurde.
Ob Fleck das Kloster tatsächlich schon 1518 verlassen hat, um nach Wittenberg zu gehen, lässt sich nicht belegen. Fraglich ist auch, ob sich Fleck und Luther jemals persönlich begegnet sind. Dass Luther, wie an verschiedenen Stellen zu lesen ist, „um das Jahr 1518“ (gelegentlich ist auch von 1520 oder 1522 die Rede) Stein-Lausigk besuchte und hier unter einer Linde gepredigt hat, ist eine Legende, die sich durch nichts beweisen lässt. Interessant ist gleichwohl, wie es zur Entstehung dieser Legende gekommen ist. Einerseits wird behauptet, es handele sich hier um eine Verwechselung mit jener Predigt, die Fleck zum Abschied von seinen Ordensbrüdern gehalten habe. Andererseits spielen die Lutherjubiläen eine gewichtige Rolle, denn die Erinnerung an Ereignisse und Personen ist immer mit konkreten Orten und Dingen verknüpft. Schon 1783, also zum 300. Geburtstag Luthers, soll in Muldenstein zum Gedächtnis an die vermeintliche Predigt des Reformators eine Linde gepflanzt worden sein. 100 Jahre später, 1883, setzten die Muldensteiner eine weitere Linde.
Der Leipziger Künstler Albert Schule (1801-1875) hat die Lutherpredigt dann am Anfang des 19. Jahrhunderts ins Bild gesetzt. Sein Kupferstich mit dem Titel „Muldenstein nebst den Gebäuden des ehemaligen Klosters Stein-Lausigk“ trägt eine im Kreuzreim gedichtete Erklärung des Dargestellten:
Die Gattin unseres Glaubenshelden
Erblickte hier das Licht der Welt
Ihr Bruder war – wie Chronisten uns melden –
als Schirmvoigt von Stein-Lausigk angestellt.
Und Luther selbst hielt unter der Linde
Weil jene Kirche für die Hörer war zu klein
Die erste Predigt wider deren Sünde
Die ruchlos Ablass tauschten gegen Zahlung ein.
Auch das 1890 erstmals veröffentliche und in zahlreichen Auflagen herausgegebene Volksschauspiel „Am Muldenstein. Episode aus Luthers Leben“ des evangelischen Pfarrers und Schriftstellers August Trümpelmann (1837-1915) hat maßgeblich zur Legendenbildung beigetragen. Ähnlich wie bei dem Kupferstich von Schule kreist auch hier die Handlung um Luthers Besuch in Muldenstein und die unter einer Linde gehaltene Predigt:
Der Luther, der Luther am Muldenstein?
Das eben wollt’ ich ins Ohr euch schrei’n!
Braucht gar nicht zu mahnen, der Hohe Rat
Weiß jeder doch, was er zu tun er hat! […]
Das müßte ein Frosch im Sumpfe sein
Der heut’ nicht ginge zum Muldenstein!
Aus einer Tischrede Martin Luthers von 1542
Ich hab Fleck lieb; denn er war ein Mann von Tröstung. Seine Worte waren wirklich tröstlich. Er schrieb an mich einen Brief, sofort als ich meine Thesen herausgegeben hatte, einen sehr guten Brief. Ich wollte 10 Gulden darum geben, dass ich ihn noch hätte. Es war nämlich ungefähr dieses Urteil: Verehrter Herr Doktor, geht weiter und beschleunigt eure Füße. Auch mir haben immer papistische Missbräuche missfallen usw. Die Mönche waren ihm auch gram. Denen zu Steinlausigk hat er gesagt: Er ist da, der es tun wird! So hat er auch nie eine Messe gehalten, was ein gutes Zeichen war.
Quelle: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgaben. Tischreden, 5. Band. Weimar 1919, S. 177; zitiert nach: Johannes Schlageter: Die sächsischen Franziskaner und ihre theologische Auseinandersetzung mit der frühen deutschen Reformation [Franziskanische Forschungen, Bd. 52]. Münster 2012, S. 8.
Lothar Herbst: Martin Luther und die Zeit der Reformation im Landkreis Bitterfeld. Bitterfeld 1999.
Roland Pieper / Jürgen Werinhard Einhorn: Franziskaner zwischen Ostsee, Thüringer Wald und Erzgebirge. Bauten – Bilder – Botschaften. Paderborn u.a. 2005.
Achim Todenhöfer: Kirchen der Bettelorden. Die Baukunst der Dominikaner und Franziskaner in Sachsen-Anhalt. Berlin 2010.
Johannes Schlageter: Die sächsischen Franziskaner und ihre theologische Auseinandersetzung mit der frühen deutschen Reformation [Franziskanische Forschungen, Bd. 52]. Münster 2012.
August Trümpelmann: Am Muldenstein. Episode aus Luthers Leben [1890]. Dresden 1933 (3. Auflage).
Die Kirche ist nicht regelmäßig geöffnet, Führungen sind jedoch möglich. Bitte melden Sie sich bei Herrn Kuno Benninger, Muldenstein, unter Telefon: 03493 / 56 217