Andreas Janßen ist Tourismus-Referent der Evangelischen Landeskirche Anhalts
Wir haben mit ihm gesprochen und uns über das touristische Angebot der Region informiert.
Herr Janßen, können Sie uns vielleicht zunächst etwas zu Ihrer Landeskirche selbst sagen?
Die Evangelische Landeskirche Anhalts ist die kleinste Landeskirche Deutschlands. Sie befindet sich bis heute auf dem Boden und innerhalb der Grenzen des ehemaligen Fürstentums Anhalt. Die fünf Kirchenkreise vom Harz bis in den Fläming gehen auf die früheren Residenzstädte des Fürstentums zurück – an diesem Gedanken halten wir bis heute fest.
Anhalt ist zudem eine kleine, aber bedeutende Kulturlandschaft in Deutschland mit einer eigenen Sicht auf die Reformation und die Rolle der Fürsten. Da wäre Georg III., der die Reformation hier, in Anhalt vorangetrieben hat. Dabei darf natürlich Melanchthon nicht vergessen werden, dessen Verdienst unter anderen die Gründung des heutigen Gymnasiums Francisceum in Zerbst ist. Seit 1532 im ehemaligen Franziskanerkloster untergebracht, ist es die älteste weiterführende Schule Sachsen-Anhalts.
Auf der Webseite der Evangelischen Landeskirche Anhalts werden Kirche, Kultur und Tourismus als ein gemeinsames Arbeitsfeld dargestellt. Was hat es damit auf sich?
Im Raum Anhalt sind Kirche, Kultur und Tourismus thematisch eng verflochten, wodurch wir mitunter ganz neue Besuchergruppen erschließen können. Ein Beispiel für diese Symbiose ist das Container-Projekt „Anhalt kompakt“. Gemeinsam mit dem Tourismusverband WelterbeRegion Anhalt-Dessau-Wittenberg und dem Verein Anhaltische Landschaft e.V. haben wir anlässlich des 800. Jubiläums Anhalts im Jahre 2012 drei Überseecontainer gekauft.
Zwei dieser Container beherbergten je eine Ausstellung zur Kulturlandschaft sowie zu den 214 Kirchen Anhalts. In dem dritten Container konnten sich unsere Partner präsentieren. Mit diesen drei Containern haben wir seit "Anhalt 800" diverse Orte besucht wie z.B. den Kirchentag in Hamburg 2013 oder die Weltausstellung Reformation in Wittenberg. Heute stehen die Container in der "Stadt aus Eisen", Ferropolis, in Gräfenhainichen nahe Dessau. Sie sind also mittlerweile selbst zu einem Teil der Kulturlandschaft Anhalts geworden.
Anhalt erstreckt sich vom Harz bis in den Fläming. Wie stellt sich diese enge Verknüpfung von Kirche und Kultur in der Region dar?
Hört man "Harz", denkt man zunächst an Wernigerode und die Welterbestadt Quedlinburg. Dabei wird schnell mal das beschauliche Gernrode übersehen. Dort gibt es allerdings die älteste erhaltene deutsche Nachbildung des Heiligen Grabes von Jerusalem zu sehen. Sie befindet sich im südlichen Seitenschiff der Stiftskirche St. Cyriakus – eines der bedeutendsten ottonischen Architekturdenkmale in Deutschland.
Zwischen dem Harz im Westen und dem Fläming im Osten liegt im zentralen Anhalt die Bachstadt Köthen. Hier schrieb Bach neben dem "Wohltemperierten Clavier Teil I" und den Französischen und Englischen Suiten die berühmten Brandenburgischen Konzerte – ein bedeutendes Element für das kulturelle Angebot Anhalts.
Das trifft natürlich auch auf Dessau zu mit Cranach – in der Johanniskirche sind drei ausgesprochen schöne Gemälde zu sehen: Christus am Ölberg, das Abendmahl und die Kreuzigung Christi –, dem Bauhaus und anderen kulturgeschichtlichen Highlights.
Was hält Ihre Landeskirche im engeren Sinne des spirituellen Tourismus bereit?
Ein Kleinod, das im Verlauf der letzten drei, vier Jahre zusehends Anklang findet, sind die Themenkirchen im Zerbster Raum. Dabei handelt es sich um eine ganz besondere Idee der Stiftung „Entschlossene Kirchen“, einer Treuhandstiftung zur Erhaltung der Dorfkirchen im Kirchenkreis Zerbst unter dem Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Der gleichnamige Förderkreis hat sich zum Ziel gesetzt, Kirchen im ländlichen Raum zu öffnen und zwar nicht nur von acht bis 18 Uhr, sondern 24/7.
Das ermöglicht zum einen, dass Leute spirituelle Erfahrungen machen können, indem sie beispielsweise auch nachts, allein und nicht mit der Besuchergruppe die Kirchen besuchen können. Zum anderen wurde im Zuge dieser Initiative sehr kleinen Dorfkirchen, die kaum noch eine eigene Gemeinde haben, ein bestimmtes Thema zugewiesen, um sie für Besucher attraktiver zu machen. Diese Arbeit mit einem bestimmten Thema eröffnet auch Menschen, die gar nicht kirchlich sozialisiert sind, einen Raum, um Kirche zu erleben, weil sie das Thema kennen. Es wird also versucht, einen gesellschaftlichen Anknüpfungspunkt zu finden.
Wie muss man sich diese thematische Öffnung vorstellen?
Beispielsweise beherbergt die wirklich kleine Kirche in Polenzko die größte Weihnachtskrippe Europas. Der Zerbster Holzbildhauer Horst Sommer hat für diese "Weihnachtskirche" Krippenfiguren aus Stämmen von Lindenbäumen geschaffen und ihr neues Leben eingehaucht – seither können wir wachsende Besucherzahlen beobachten.
Ein paar Dörfer weiter, in Trüben, gibt es die erste und einzige Osterkirche. Großformatige Szenen an 14 Stationen eines Passionsweges machen den Leidensweg Christi begreifbar. Wer es wagt, kann sich sogar daran versuchen, eine Nachbildung des Kreuzes auf den eigenen Schultern zu tragen. Sie können hier also geführt oder individuell in diese kirchliche, genuine Ostergeschichte eintauchen.
Noch etwas weiter in südwestlicher Richtung liegt Luso. Hier wurde aus einer kleinen, nahezu in Vergessenheit geratenen Dorfkirche eine einzigartige "Gesangbuchkirche". Im Rahmen der Themenkirchen können hier alte Gesangbücher, etwa aus Nachlässen, abgegeben werden. So wächst seit 2010 ein immer größerer Bestand von mehreren hundert teils antiquarischen Büchern aus aller Welt heran. Auch hier wird Menschen mit und ohne religiösem Hintergrund die Möglichkeit geboten, sich mit kirchlichen Themen auseinanderzusetzen.
Wir haben damit eine Form des spirituellen Tourismus geschaffen, die anders funktioniert. Unter den Begriff fallen in der Regel Klöster, Einkehrtage, begleitetes Pilgern und dergleichen. Die Öffnung von Kirchen, die genannten und weitere Themen sind Beiträge zu einem neu gedachten spirituellen Tourismus. Die Gästebücher legen Zeugnis davon ab.
Das Konzept der rund um die Uhr geöffneten Kirchen ließe sich jedoch nur schwer auf Ballungsgebiete übertragen und ist den kleinen Ortschaften vorbehalten. Hier hat es allerdings in zehn Jahren noch keine Schäden durch Vandalismus gegeben. Vielmehr ist es umgekehrt so, dass hier und da etwa frische Blumen von Kirchgängern bereitgestellt werden.
Welche altbewährten Angebote gibt es neben diesem neu gedachten spirituellen Tourismus?
Im Sinne des klassischen spirituellen Tourismus ist unbedingt der Lutherweg zu erwähnen. Die Idee dazu hatte Wolf von Bila aus Wohlsdorf – es handelt sich also um ein Produkt "Made in Anhalt". So wurde hier 2008 auch der erste Lutherweg eröffnet. Der Lutherweg ist seither weiter gewachsen und erstreckt sich inzwischen zusätzlich auch über die Bundesländer Sachsen, Thüringen, Bayern, Hessen und bald auch Brandenburg – etwa 460 km mit 51 Stationen.
2010 haben wir in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau begonnen, spirituelle Begleiter für den Lutherweg auszubilden. Gäste- und Reiseführer werden hinsichtlich Spiritualität geschult, um Gruppen auf dem Pilgerweg zu begleiten. Dieses Angebot wird nur mäßig angenommen, was aber in der Natur der Sache liegt: Der Lutherweg wird, wie auch andere Pilgerwege, etwa der St. Jakobus Pilgerweg, von Menschen begangen, die keine Gruppenführung wünschen – das steht dem Sinn des Pilgerns in gewisser Hinsicht entgegen. Nichtsdestotrotz gibt es aber auch Pilgergruppen, die sich gerne von den spirituellen Begleitern führen lassen.
Für unsere Gäste, die nicht zu Fuß, sondern mit dem Rad unterwegs sind, haben wir gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) e. V. Radwegekirchen etabliert. Nach dem Vorbild der Autobahnkirchen sind diese auf den Radwegekarten verzeichnet. Sie bieten den Reisenden über die spirituelle Erfahrung hinaus einen gewissen Service. So werden etwa Getränke und Reparatursets bereitgestellt.
Das große Jubiläumsjahr 2017 neigt sich dem Ende entgegen. Was darf man in der näheren Zukunft erwarten?
Das Reformationsjubiläum in diesem Jahr hat gezeigt, dass der Tourismus in Mitteldeutschland ein zukunftsweisendes Geschäft ist, das über 2017 hinaus reicht. Im nächsten Jahr steht das 25-jährige Jubiläum der Straße der Romanik und 2019 das Bauhausjubiläum an. Auch da werden wir wieder mitspielen. Die Straße der Romanik bringt einmal mehr Menschen mit kulturhistorischem wie spirituellem Interesse in die Kirchen. Sie wird noch in diesem Jahr um die Kirche in Altjeßnitz – inmitten des berühmten Irrgartens gelegen – ergänzt. Das Bauhausjubiläum wird sich vor allem auf Dessau konzentrieren. Mit zwei "Bauhauskirchen" (Auferstehungskirche Dessau-Siedlung und Kreuzkirche Dessau-Süd) haben wir da hinsichtlich Architektur und Kunstgeschichte auch einiges zu bieten.
Aber auch im Dessauer Umland gibt es viel zu sehen, etwa das Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Wie ein grüner Gürtel umgibt es die Stadt mit seinen Kirchen, die ebenso einzigartig sind, wie das Gartenreich selbst. Als "Filetstück" gilt die St.-Petri-Kirche in Wörlitz mit dem Bibelturm. Hier kann man nicht nur den Blick bis nach Wittenberg, Dessau oder zum Petersberg bei Halle schweifen lassen. Auf dem Weg zur Aussichtsplattform kommen Sie an einer Ausstellung rund um die Bibel vorbei. Einmal mehr wird also die Gelegenheit gegeben, ein Thema – nämlich die biblischen Bezüge unserer Feiertage – zu entdecken und zu vertiefen.
Kontakt
Andreas Janßen
Evangelische Landeskirche Anhalts
Kirche, Kultur & Tourismus
Poststraße 14
06844 Dessau-Roßlau
Telefon: +49 (0)340 25261401
Fax: +49 (0)340 25261499
Mail: andreas.janssen@kircheanhalt.de
Web: www.landeskirche-anhalts.de
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